Thema des Tages
Besondere Momente: Die "Blaue Stunde"
Ganz allgemein beschreibt die "Blaue Stunde" den Zeitraum innerhalb der abendlichen oder morgendlichen Dämmerung, wenn die Sonne tief genug unter dem Horizont steht, sodass nicht das Gelb oder Rot sondern ein Blauton das Himmelsbild dominiert, aber auch die Dunkelheit der Nacht noch nicht oder nicht mehr eingetreten ist. Da es sich bei der Blauen Stunde um keinen klar definierten Begriff handelt, kann auch die Zeitspanne, bei der von der Blauen Stunde gesprochen wird, nicht eindeutig festgelegt werden. Im Gegensatz dazu besteht jedoch ein physikalischer Zusammenhang zwischen dem Tiefenwinkel der Sonne und der spektralen Zusammensetzung des Himmels, was wiederum eine zeitliche Eingrenzung ermöglicht.
Dabei kommt die besondere, blaue Färbung des Himmels zustande, wenn sich die Sonne ca. zwischen 4 und 8 Grad unter dem Horizont befindet, womit sich die Blaue Stunde sowohl zur Zeit der Bürgerlichen Dämmerung (Tiefenwinkel der Sonne zwischen 0 und 6 Grad) als auch zur Zeit der Nautischen Dämmerung (Tiefenwinkel der Sonne zwischen 6 und 12 Grad) ereignet und damit quasi einen Verschnitt beider Dämmerungsphasen darstellt.
Nun bleibt noch die Frage offen, woher diese einzigartige Blaufärbung des Himmels kommt. Dafür muss noch etwas tiefer in die Physik eingestiegen werden: Tagsüber dominiert die Rayleigh-Streuung, bei der Licht mit kurzer Wellenlänge, also der blaue Lichtanteil, am stärksten gestreut wird und den Himmel ohne Wolken daher tiefblau verfärbt. Ohne andere physikalische Effekte würde sich der Himmel bei der Dämmerung gelblich oder grünlich verfärben, da mit zunehmendem Weg des Lichts durch die Atmosphäre aufgrund eines flacheren Einstrahlwinkels der blaue Anteil komplett „herausgestreut“ worden wäre und nur die anderen Farben übrig bleiben. Auch zur Zeit der Blauen Stunde wäre der Himmel dann nicht blau, sondern eher leicht grünlich oder etwas gelblich. Neben der Rayleigh-Streuung existiert aber auch noch die wesentlich schwächere „Chappuis-Absorption“, ausgelöst durch das atmosphärische Ozon in ca. 15-30 Kilometern Höhe. Am Tage ist diese so schwach, dass sie gegenüber der Rayleigh-Streuung nicht zum Tragen kommt. Abends und morgens hingegen, wenn die Rayleigh-Streuung eine untergeordnete Rolle spielt, erlangt sie bei einem längeren Weg des Lichts durch die Atmosphäre größeren Einfluss. Dabei wird das Licht im gelben, orangenen und roten Spektrum absorbiert und nur der blaue Anteil bleibt übrig und verleiht der Blauen Stunde die charakteristische Himmels-Färbung.
Die Dauer der Blauen Stunde variiert wie die Dämmerungszeiten auch mit dem Breitengrad und der Jahreszeit und kann zwischen 20 Minuten in den Tropen und bis zu 5 Stunden in den "Weißen Nächten" am Polarkreis betragen. In Mitteleuropa dauert sie in der Regel zwischen 30 Minuten an der Tag-Nacht-Gleiche und rund 50 Minuten an der Sommersonnenwende.
Besonders in der Fotografie wird die Blaue Stunde häufig genutzt, um eine Komposition richtig "in Szene" zu setzen, gerade wenn es urbanes, warmes Licht als Kontrast zum eher kühlen Blau gibt. Aber auch in der Poesie und Dichtkunst ist die Blaue Stunde immer wieder Thema, hier wird sie jedoch meist mit einer leicht melancholischen Note versehen.
Ob sie in den kommenden Tagen wieder beobachtet werden kann ist regional unterschiedlich, da sich vom Nordwesten bis in den Südosten ein paar Schauer oder schauerartige Niederschläge sowie dichte Wolken in das Himmelsbild gesellen, wobei es gebietsweise auch aufgelockert sein wird mit einem freien Blick zum Himmel. Ausschau halten und fotografieren lohnt sich aber auf jeden Fall!
M.Sc. Meteorologe Oliver Reuter
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 29.09.2025 Copyright (c) Deutscher Wetterdienst